Sonnabend 9.10.1993     Schaufenster am Wochenende       Seite 3

Das Bauwerk

„Vom Kahn genießt man den Blick
auf das die Gehöfte überragende einfache Schloß“

Das Herrenhaus in Obernitzschka wurde 1947
als Steinbruch für Neubauerngehöfte freigegeben

von Lutz Heydick

Was man heute vorfindet
Hinter Trebsen strömt die Mulde ins Wurznische. Beim ehemaligen Gut Obernitzschka nimmt sie die Launzige auf, einen 11 km langen, vom Wermsdorfer Forst kommenden, leider meliorierten Bachlauf. Auf dem Sporn über der Muldenschleife ragt der Nitzschkaer Kirchturm vom l745 hoch auf. Das Kirchenschiff hatte Ende des 17. Jahrhunderts seinen prägenden Umbau.
Vom benachbarten Gutskomplex ist nur ein langgestrecktes Stallgebäude unter hohem Walmdach erhalten geblieben. Hofseitig zeigt es seine ganze Mächtigkeit, dazu herrliche Kreuzgewölbe im Innern. Ein Torgebäude des Gutshofes gibt den Weg in den kleinen Gutspark frei, der sich bei einer Gruppe von Kastanien in die Muldenaue öffnet. Dort im Park wird man erst der alten Mauer des einstigen Herrenhauses gewärtig, genauer gesagt, seines verfüllten Untergeschosses.
Nach der Bodenreform im Jahre 1947, ist das zuletzt (zusammen mit dem Rittergut Unternitzschka) der Familie von Carlowitz gehörige Gutshaus abgetragen, als Steinbruch für den Aufbau von Neubauerngehöften freigegeben worden.
Wie es der „sächsische Fontane" erlebte
Eine noch heile Ansicht Obernitzschkas vom jenseitigen Muldenufer und einstigen Fährkahn hat: uns zu Anfang dieses Jahrhunderts der Verfasser der „Kursächsischen Streifzüge" Otto Eduard Schmidt im Abschnitt „Mul-denländisches" beschrieben: „Vom Kahn genießt man den Blick auf die baumgeschmückte Aue. auf das behaglich zwischen den Gärten sich versteckende Dorf und das die Gehöfte überragende einfache Schloß. Es war einst (1814-1826) im Besitz des Dichters August Mahlmann. der sich hier von den Schrecken des Kriegsjahres 1813 erholte. Mahlmann hatte als Pächter und Redakteur der Leipziger Zeitung durch seine politische Haltung das Mißfallen Napoleons erregt, der ihn am 26. Juni 1813 aus Leipzig nach Erfurt schleppen und dort einkerkern ließ ... Er wurde wieder freigelassen und konnte die Leipziger Schlacht und die Befreiung der Stadt an Ort und Stelle miterleben und in jubelnden Versen besingen. In Obernitzschka hat er sich der Landwirtschaftlichen naturwisenschaftlichen Studien hingeben. Seine ehrten ihn durch eine im Park angebrachte Gedenktafel. 1858 wurde Obernitzschka verkauft."
Eine neue Tafel verdiente der 1771 in Leipzig geborene, durch die Grimrnaer Landesschule gegangene, „weiland Sächsische Hofrath", 1826 in Leipzig verstorbene Schriftsteller wohl...
Erinnerungen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts..
Als „Sachsens (alte) Kirchen-Galerie" und das „Album der Rittergüter und Schlösser des Königreichs Sachsen" auch Obernitzschka in Wort und Bild erfaßten, befand sich das Gut noch im Besitz von Mahlmanns Schwiegersohn Baron von Lorenz. Es heißt dort rückblickend, im 14. Jahrhundert habe „das Rittergut der von Holleufer'schen Familie (gehört) und von dieser ist es an die aus dem Winkel gekommen, welche es über 100 Jahre besessen haben. Dann im 16. Jahrhundert und zwar schon 1519 war es im Besitze der Herren von Minkwitz, welche noch im Jahre 1720 damit beliehen waren ... Obernitzschka hat einen starken Wieswachs zum Theil jenseits der Mulde, weshalb das Heu grösstentheils auf Kähnen transportirt werden muss. Es hat gute und vortreffliche Wirthschaft mit schönen Gebäuden und besonders zeichnet sich das Schloss mit seiner angenehmen Lage aus."
Die genannten von Minckwitz waren kurz zuvor auch in den Besitz des großen Trebsener Gutes gelangt und hatten dort den weiten vierflügligen Schloßbau der Spätgotik aufführen lassen. Das demgegenüber bescheidene Obernitzschkaer Herrenhaus stammt in seiner überlieferten Baugestalt aus der Zeit nach 1704, als ein im Dorfe ausgebrochener Brand „bei starkem Winde die sämmtlichen Rittergutsgebäude, sechs Bauergüter, Pfarre und Schule in Asche legte, auch der Kirchturm abermals zerstört" worden ist.
Im Jahre 1546 sind durch Johann von Minckwitz die beiden bis dahin selbständigen Parochien Neichen und Obernitzschka zusammengelegt worden, da beide Pfarrstellen „so gering dotirt waren, daß sich darauf ein Pfarrer kaum erhalten konnte". Das sogenannte Collaturrecht über die Besetzung der Pfarrstelle wechselte in der Folgezeit jeweils zwischen den Gutsherren von Obemitzschka und Neichen. Nach Obemitzschka gepfarrt sind die Dörfer Untemitzschka, Oelschütz und „die Sonnmühle, mit dem daran befindlichen Schenkhause", wie es in „Sachsens (alter) Kirchen-Galerie" heißt.
Ausflug auf dem Muldendamm
Vom Gutspark aus zieht sich auf dem rechten Muldenufer ein Dammweg bis zur Sonnenmühle, die einst ein von Pyrna kommender Bach antrieb. Auf der „Loreley", einem breiten Felssporn des östlichen Muldenhochufers, liegt der slawenzeitliche Sonnenmühlwall. Gut erkennbar sind der alte Zugang an der Westseite und der langgezogene hohe Wall.
Das westlich der Muldenschlinge gelegene Pausitz hat zu 974 erste Erwähnung durch den Merseburger Bischof und Chronisten Thietmar erfahren, die einstige Oelschützer Kirche wenig später zu 1017, Nitzschka selbst erst 1350.
Bis hin nach Wurzen läßt es sich am Ostufer der Mulde wandern, am jenseitigen Ufer entlang der Pausitzer und Schmölener Lache, beides Altwasser der Mulde, abgeschnittene Flußschlingen mit eigenen Kleinbiotopen, Paradiese für Wasservögel. Der bereits genannte Otto Eduard Schmidt, Wurzens Gymnasialdirektor der Jahre 1905-10, hat diesen Flußpartien die schönen Sätze gewidmet: „Die Muldenlandschaft von Grimma nordwärts bis zur Landesgrenze (Sachsens) hat lange Zeit als langweilig und reizlos gegolten. Aber das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat einen Umschwung gebracht. Mit Recht gilt jetzt nicht nur das Auffallende, sondern die unverfälschte Natur wieder für wertvoll und in gewissem Sinne für schön." Seitdem haben Maler, Wasserfreunde, Wanderer nicht vom stillen Reiz dieser Landschaft um Obemitzschka muldeabwärts lassen können.